Kapitel 4

Veröffentlicht auf von Jacqueline

Ich glaube ich werde diesen Anblick nie vergessen, wie meine Mama nach diesem Eingriff aussah. Man darf nicht vergessen, dass die Ärzte die Mama operiert hatten, ganze Arbeit geleistet hatte. Um an den Tumor überhaupt heran zu kommen, hatten sie die Schädeldecke aufgesägt und umliegendes Gewebe entfernt. Eine Vorstellung, bei der ich nicht näher ins Detail gehen möchte. Wir wissen alle, dass wir bei einem kleinsten Schnitt anfangen zu bluten und die umliegenden Zellen anschwellen. Ich muss also nicht näher erklären wie Mamas Gesicht und gesamter Kopf nach der Operation ausgesehen hat. Ich kann nur so viel sagen, dass Papa und ich sie beide auf den ersten Blick nicht erkannt haben. Ihre langen blonden Haare, ihr Markenzeichen, waren an der zu operierenden Stelle wegrasiert und mit orangefarbenem Jod getränkt. Die gesamte rechte Gesichtshälfte hatte sich auch so kurz nach der Operation in allen erdenklichen Farben gefärbt und war dick angeschwollen. Doch trotz allem war Mama ansprechbar und wach. Wenn auch nach der Vollnarkose noch etwas „verklatscht“. Sie erzählte wirres Zeug und gab auch als Erstes an, uns nicht zu erkennen. Doch nach etwas Zeit nahm sie uns als ihren Mann und ihre Tochter war und freute sich, dass wir da waren. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir noch keine Diagnose um welche Art von Tumor es sich handelte. Erst nach der Entfernung des Zellgewebes konnten die Ärzte eine Probe entnehmen und diese analysieren. Bis dahin waren wir also in dem Glauben, dass die Operation die erste und letzte gewesen war. Das es Mama schnell wieder besser gehen würde, sie nach Hause käme und ihr Leben ohne Einschränkungen weiter leben könne. Eines davon ist auch so eingetreten. Mama ging es erstaunlicher Weise, trotz dieses großen Eingriffes, schnell wieder besser. Ihr Genesungsprozess war hervorragend und auch die Ärzte waren zuversichtlich, dass sie keinerlei Schäden davon tragen würde. Auch das Rauchen hatte Mama schnell wieder für sich entdeckt. Ganz zu unserem Missfallen. Mama hatte schon immer geraucht. Zwar jedes Mal draußen und nie in der Wohnung oder im Haus. Dennoch war es relativ unvorsichtig nach einer großen Operation sofort wieder anzufangen zu rauchen. Denn Nikotin hemmt den Heilungsprozess. Was in Mamas Fall natürlich so oder so schon lange dauern würde. Aber Papa und ich mussten das Rauchen leider stillschweigend hinnehmen und auch im weiteren Krankheitsverlauf ist uns immer wieder deutlich geworden, dass Rauchen das Einzige Glücksgefühl und das Gefühl noch am Leben zu sein für sie war, welches wir ihr natürlich nicht nehmen wollten. An sich war die Operation gut verlaufen und wir waren wohl zu euphorisch darüber, dass es Mama so schnell wieder besser ging. Denn nach der Analyse der entnommenen Krebszellen aus Mamas Gehirn, stand nun fest, dass es sich um ein „Glioblastom“ handelte. Wie vorher schon beschrieben, war uns nun klar, dass dieser Tumor auf lange Sicht gesehen nicht heilbar war. Eine aggressive Art von Krebs im Gehirn, die schnell wächst und auch Metastasen bildet, allerdings nur im Gehirn und in keinem anderen Organen des Körpers. Ob das jetzt allerdings ein Vor- oder Nachteil war, kann ich nicht sagen. Mama kam zu Hause erstaunlicher Weise echt gut alleine zurecht. War in der Lage alles selbstständig zu machen, sei es duschen, sich etwas zu essen machen oder sich frei im Haus zu bewegen. Das hört sich jetzt vielleicht absolut normal für jeden anderen gesunden Menschen an. Für uneingeschränkte Menschen sind dies Dinge, die unseren Alltag bestimmen. Die wir einfach tun ohne weiter darüber nachzudenken. Ohne nachzudenken was wäre, wenn wir dies nicht mehr ohne Hilfe tun könnten. Ohne nachzudenken, wie schnell sich unsere Situation ändern kann und wir nicht mehr selbstständig und so mobil sein können wie wir es gerne hätten. Wie gesagt zeigte Mama in allem was sie tat, keinerlei Einschränkungen, außer dass sie insgesamt langsamer in allem war, was sie tat und auch immer noch regelmäßig ihren Mittagsschlaf hielt. Doch wir sollten in den darauffolgenden Monaten eines besseren belehrt werden.

Kapitel 4
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