Kapitel 2

Veröffentlicht auf von Jacqueline

Es war ein schöner warmer Augusttag. Papa und ich verbrachten mit unseren Gastgebern einen lustigen und unterhaltsamen Abend auf dem Prater in Wien. Der Prater, eine Kirmes so groß wie ein kleines Dorf, mit allen Attraktionen die man sich wünschen kann und sie steht fest an Ort und Stelle, 365 Tage im Jahr. Ich hatte eine Postkarte gekauft und wollte diese nach Hause, nach Deutschland zu Mama schicken, dass sie auch Stückchen Wien bei sich hatte. Mama war an diesem Wochenende nicht alleine, sondern hatte ihre Schwester Renate eingeladen. Die beiden verstanden sich gut und hatten einige Pläne für ihr gemeinsames Wochenende. Doch an diesem Abend war alles zu schön um wahr zu sein. Wir verstanden uns alle prächtig, amüsierten uns. Und der Schein trügte nicht. Als ich irgendwann einmal auf mein Handy schaute, hatte ich mehrere Anrufe in Abwesenheit von einer unbekannten Nummer auf dem Display. Ich hörte mir mit Papa eine hinterlassene Mailbox Nachricht an. Diese war von Renate und sie bat uns so schnell es ging zurück zu rufen. Dies taten wir auch und was wir dann erfuhren, zerstörte den Ganzen schönen Abend mit nur einem Schlag. Renate berichtete uns, dass sie Mama bewusstlos und mit Schaum vor dem Mund nach ihrem täglichen Mittagsschlaf gefunden und den Notarzt informiert hatte. Ja, es hört sich heftig und unvorstellbar an, aber genauso ist es wohl gewesen. Die Notärzte hatten versucht sie zu stabilisieren, was jedoch einen epileptischen Anfall ausgelöst hatte. Mehrere Notärzte waren also im Schlafzimmer meiner Eltern, in meinem Elternhaus und hatten versucht meine Mutter zu beruhigen und den Anfall zu stoppen. Bis heute fällt es mir schwer in dieses Zimmer zu gehen in dem sich solche schrecklichen Szenen abgespielt haben müssen. Meine Mutter war dann in das nächstgelegene Krankenhaus transportiert worden und es gab die ersten Untersuchungen, aber noch keine genaueren Ergebnisse. Nach dieser Nachricht, die Papa an einem Münztelefon irgendwo in Wien von meiner Tante bekommen hatte, war der Abend endgültig gelaufen. Er berichtete mir von dem Geschehenen und ich bin wie im Film mit dem Rücken zur Wand auf den Boden gerutscht und habe bitterlich geweint. Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, was mit Mama war, ob es ihr schon wieder besser ging, was wir für sie tun konnten und vor allem was um alles in der Welt sie in solch einen Zustand versetzt hatte. Die folgende Nacht konnten Papa und ich kaum schlafen. Auch wenn wir wenig darüber sprachen, bin ich mir sicher, dass uns die gleichen Fragen und Ängste durch den Kopf gingen. Was war passiert und wie würde es weiter gehen. Tausend Fragen und Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Was wäre passiert, wenn Rita an diesem Wochenende nicht zu uns nach Hause gekommen wäre. Wenn sie nicht den weiten Weg gemacht hätte um bei Mama zu sein. Wenn sie sich nicht gewundert hätte, dass Mama nach ihrem Mittagsschlaf nicht wieder nach unten gekommen wäre. Wenn sie nicht gucken gegangen wäre und sie bewusstlos gefunden hätte. Wenn sie als gelernte Rettungsschwimmerin nicht so schnell gehandelt, sie in die stabile Seitenlage gebracht und dem Notarzt so ein paar wertvolle Minuten geschenkt hätte. Diese Fragen möchte ich mir gar nicht beantworten. Ich weiß nur, dass auch wenn ich selbst nicht an die Person Gott glaube, es irgendeine höhere Macht geben muss, die dieses Wochenende so hat verlaufen lassen, wie es verlaufen ist. Jeder einzelne Moment musste ganz genauso verlaufen, damit der darauffolgende Moment sich anschließen konnte. Am nächsten Morgen warteten wir gespannt und ungeduldig auf einen Anruf aus dem Krankenhaus oder meiner Tante. Sie hatte uns am Vorabend noch mitgeteilt, dass nach ersten Untersuchungen Mamas Blutwerte verändert sein und vermutlich im Kopf eine Veränderung stattgefunden hatte. Doch wir konnten uns keinen Reim darauf machen, was das alles mit ihrem epileptischen Anfall zu tun haben könnte. Nach gefühlten 10 Stunden kam endlich der erlösende Anruf. Auf dem Display stand „zu Hause“ ruft an. Ich ging ran und hörte die leise Stimme meiner Mama. Im ersten Moment war ich total erleichtert die Stimme meiner Mama zu hören. Ich hatte die Hoffnung, dass sie mir sagte, dass alles in Ordnung sei. Vielleicht etwas Falsches gegessen oder sonst was. Auch mit der Diagnose Epilepsie hatten Papa und ich uns abgefunden. Auch wenn es hart geworden wäre, wir hätten alles zusammen gemeistert. Doch an ihrer Stimmlage merkte ich, dass es irgendetwas anderes war. Ich fragte, ob es ihr gut ginge, doch das was sie mir dann sagte, riss mir wortwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Ich weiß noch, dass ich nach ihren Worten „Ich habe einen Hirntumor“ das Telefon fast fallen gelassen habe und einfach auf dem nächstbesten Stuhl zusammen gesackt bin. Papa muss wohl das Telefon entgegen genommen und Genaueres von Mama erfahren haben. Ich war völlig aufgelöst und habe nur geweint. Vollkommen verständlich, nach so einer Nachricht. Mir bzw. uns war nicht bewusst was alles auf uns und vor allem auf Mama zukam. Und vor allem wie das Ganze für uns und für Mama enden würde. Die Stunden danach verbrachten wir damit uns nur noch mehr Gedanken zu machen. Wir wollten so schnell es ging nach Hause zu unserer Frau und Mama. Ihr in dieser schweren Zeit so kurz nach der Diagnose beistehen. Sie unterstützen mit all unseren Kräften und ihr zeigen, dass wir hinter ihr stehen. Zum Glück war schon am nächsten Morgen unser Rückflug nach Deutschland, doch die Stunden zogen sich, wie Kaugummi. Unsere Gastgeber waren hilf- und ratlos. Sie hätten uns gerne unterstützt oder geholfen, aber selbst wir wussten nicht wie wir mit der ganzen Situation umgehen sollten. Auch für uns war das Ganze völlig neu und fremd. Vor Mama war keiner in meiner Familie, Verwandten- oder Freundeskreis an Krebs erkrankt. Ich hatte von Freunden erfahren, deren Großeltern oder Verwandte an Krebs gestorben sind. Aber persönlich kannte ich keinen davon. Auch der Tod hatte uns in meiner Familie vorerst verschont. Bis auf meinen Opa, der mit stolzen 91 Jahren im Jahr 2011 verstarb. Aber das Schicksal sollte es besser wissen.

Der Prater

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